Das letzte Mal im Wendel’s

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Es war ein Wochenende. Draußen hing der Himmel schwer über der Stadt, Wolken verschluckten das Licht, und ein feiner Nieselregen zog sich durch die Straßen. Einer dieser letzten Wintertage, an denen die Kälte bleibt, als wolle sie nicht gehen.

Ich saß drinnen, eine dampfende Tasse Kaffee in den Händen, und scrollte gedankenverloren durch Facebook. Dann blieb ich an einem Beitrag hängen.

Jemand in der Gruppe „Deutsche in Taiwan“ hatte einen Zeitungsartikel geteilt.

„Wendel’s schließt nach 26 Jahren seine Filialen in Taipeh.“

meatloaf Wendel's restaurant Taipei

Ich hielt inne. Es überraschte mich nicht wirklich. Ich wusste, dass Michael Wendel das Geschäft schon vor Jahren verlassen hatte. Die Restaurants waren nie nur sein Werk gewesen – taiwanesische Investoren hatten sie mitgegründet, er hatte vor allem die Handschrift der Küche geprägt.

Und doch bewegte mich die Nachricht.

26 Jahre.

Ich war nicht oft dort gewesen. Aber an einen Abend konnte ich mich genau erinnern.

Der Abend, an dem alles begann.

Es war im Sommer 2012. Taipei war heiß, die Luft stand schwer, die Straßen schimmerten im flirrenden Licht.

Wir hatten uns schon ein paar Mal getroffen, doch dieses Mal war es anders. Vielleicht, weil ich wollte, dass es anders war. Kein zufälliges Aufeinandertreffen mehr, kein „Mal sehen, was passiert“. An diesem Abend sollte es eine Richtung geben.

Ein paar Tage zuvor hatte ich versucht, einen Tisch zu reservieren. Wendel’s war damals beliebt, ohne Reservierung war es Glückssache. Ich griff zum Telefon.

Das Freizeichen verstummte, dann – Warteschleifenmusik.

Ich erwartete etwas Belangloses, vielleicht klassische Musik oder eine Standardansage. Stattdessen ertönte ein Song.

„Bakerman is baking bread…“

Ich musste schmunzeln. Natürlich. Ein deutsches Restaurant, bekannt für Brot, Kuchen und Gebäck – und dann dieser Song in der Warteschleife. Es war fast zu passend.

Ich hörte die Melodie, ließ sie einen Moment auf mich wirken. Dann nahm jemand ab, und ich bekam meinen Tisch.

Und so saßen wir an diesem Abend dort, umgeben von gedämpftem Licht und dem leisen Klang von Stimmen und Besteck. Ich weiß nicht mehr genau, was wir bestellten – vielleicht ein Schnitzel, vielleicht eine Brezel mit Käse. Aber ich erinnere mich an ihr Lächeln.

An die Art, wie sie mich ansah, als wäre alles ganz selbstverständlich.

Und das war der Moment.

Der Moment, in dem aus einem lockeren Kennenlernen etwas wurde, das bleiben würde.

Jetzt, fast 13 Jahre später, lese ich von der Schließung.

Wie oft waren wir danach noch dort? Zwei, drei Mal vielleicht. Es war nie unser Restaurant geworden, aber dieser eine Abend – der gehörte uns.

Ich erzählte meiner Frau davon.

„Ich hab’s auch in den Nachrichten gelesen“, sagte sie nur. Kein Seufzen, kein sentimentales Innehalten. Sie nahm es hin, wie sie so vieles hinnahm, das mit der Zeit verschwand.

Ich nahm mein Handy, öffnete Spotify und suchte nach Bakerman.

Fast 13 Jahre hatte ich diesen Song nicht mehr gehört.

Die ersten Takte füllten den Raum, und für einen Moment war ich wieder dort – wartend in der Leitung, sitzend an diesem Tisch, hörend, lachend, wissend, dass dieser Abend nicht einfach einer von vielen sein würde.

Manche Orte verschwinden.

Aber manche Erinnerungen nicht.

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