In diesem Artikel beschreibe ich meinen Alltag in Taiwan und wie ich die COVID-19 Epidemie hier wahrnehme. Ich will auch hervorheben mit welchem Aufwand die Behörden in Taiwan versuchen die Ausbreitung des Virus und das Infektionsrisiko der Bevölkerung zu minimieren. Seit Ende Dezember 2019 breitet sich das bis dahin unbekannte Coronavirus SARS-CoV-2 von der Stadt Wuhan (Provinz Hubei) in der Volksrepublik China weltweit aus. Durch seine geographische und wirtschaftliche Nähe Taiwans zur VR China und aus den Erfahrungen der SARS-Pandemie 2002/2003 hat man hier von Anfang an die COVID-19 Epidemie sehr ernst genommen. Schon sehr früh wurde mit viel Aufwand versucht eine Ausbreitung des Virus in Taiwan zu verhindern oder zu minimieren. Die Bevölkerung wird auf allen Kanälen mit Informationen zum Virus, den Infektionswegen, aktuellen Entwicklungen und Zahlen auf dem Laufenden gehalten. Es gibt überall Informationen wie man das Ansteckungsrisiko minimieren kann. Die Herausgabe von Informationen ist sehr transparent. Jede Infektion wird öffentlich bekanntgeben, die Kontaktpersonen getestet, 14-tägige Quarantänen verhängt. Auch werden die Bewegungsprofile der infizierten Personen rekonstruiert und gegebenenfalls veröffentlicht, so dass jeder für sich selbst sehen kann, ob man mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen sein könnte.

Aushang an einer Schule mit Hinweise wie das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

Der erste Fall von COVID-19 trat in Taiwan am 21. Januar 2020 auf. Eine Taiwanesin die vorher in Wuhan war, wurde positiv auf die Virusinfektion getestet. Kurz darauf wurden Flug- und Fährverbindungen zwischen Taiwan und der VR China erst eingeschränkt und mittlerweile größtenteils eingestellt. Bereits Ende Januar 2020, kurz vor dem Chinesischen Neujahrsfest, wurden Direktflüge zwischen Taiwan und Wuhan eingestellt. Bis 29. April 2020 werden nur noch Flugverbindungen nach Beijing, Shanghai, Xiamen und Chengdu angeboten. Personen die nach Taiwan einreisen, müssen eine Gesundheitserklärung abgeben und die Körpertemperatur wird gemessen. Personen die aus Risikogebieten (Stand 06. März 2020: VR China, Hongkong, Macau, Süd-Korea, Italien, Iran) einreisen oder sich dort in den letzten 14 Tagen aufgehalten haben, müssen eine 14-tägige Hausquarantäne machen und den Gesundheitszustand beobachten. Das Gesundheitsamt kontrolliert die Einhaltung der Quarantäne und bei Verstößen drohen empfindliche Strafen. Wie in diesem Fall in dem ein Taiwanese ca. 30.000 Euro Strafen zahlen muss, weil er sich nicht an die Quarantäne hielt und munter durch Taiwan gereist ist. Auch Personen die mit Infizierten in Taiwan in Kontakt gekommen sind, müssen eine 14-tägige Hausquarantäne machen. Aktuelle Informationen zu den Einreisebeschränkungen nach Taiwan findet man hier auf der Internetseite des Deutschen Instituts in Taipei.

Desinfektion auf einem Spielplatz.

Zusätzlich zu den Reisebeschränkungen und Quarantänen wurde am 24. Januar 2020 der Export von Gesichtsmasken und N95 Masken verboten. Damit sollte sichergestellt werden, dass genügend Masken für die taiwanesische Bevölkerung zur Verfügung stehen. Ursprünglich war das Exportverbot nur auf einen Monat ausgelegt, ist jedoch inzwischen verlängert worden und wird vermutlich auch noch eine ganze Weile bestehen bleiben. Und während ich das hier schreibe, hat Taiwan auch noch den Export von Fieberthermometern für einen Monat verboten.

Aushang an einer Apotheke mit dem das neue Rationierungssystem für Masken bekannt gegeben wird.

Da die Bevölkerung angefangen hat Masken in großen Mengen zu horten und auch die Gefahr bestand, dass Masken in großen Mengen in die VR China verkauft werden, hat die Regierung am 3. Februar 2020 die Rationierung von Masken beschlossen. Auch die Preise für Masken wurden staatlich geregelt um Wucher zu verhindern. Das neue System trat bereits drei Tage später am 6. Februar 2020 in Kraft. Jetzt können Masken nur noch in bestimmten Apotheken gegen Vorlage der Krankenkassenkarte gekauft werden. Anfangs gab es pro Person pro Woche nur 2 Masken für Erwachsene und für Kinder 4 Masken. Die Käufe werden auf der Krankenkassenkarte gespeichert, so dass man nicht mehrere Apotheken pro Woche aufsuchen kann.

Anstehen an einer Apotheke um seine Ration Masken zu kaufen.

In den letzten Wochen wurden die Kapazitäten der Maskenproduktion erhöht, so dass von 4 Millionen Masken pro Tag ab März 10 Millionen Masken pro Tag hergestellt werden können. Damit soll sichergestellt werden, dass genügend Masken für Krankenhäuser, Ärzte und die Bevölkerung vorhanden sind. Durch die gestiegene Produktion konnte mittlerweile das Limit auf drei Masken für Erwachsene und 5 Masken für Kinder pro Woche erhöht werden.

Maske für Erwachsene (oben) und für Kinder (unten).

Ich selber trage sehr selten eine Maske in der Öffentlichkeit und besitze auch nur wenige Masken. Bisher habe ich nur bei Arztbesuchen und während einer Erkältung eine Maske getragen. Aus dem was ich gelesen habe, scheinen die Masken, abgesehen von N95 Masken, keinen wirklichen Schutz gegen eine Virusinfektion zu bieten. Sie mögen zwar psychologisch eine Wirkung haben, aber als Infektionsschutz ist der Nutzen wohl nicht so groß. Ich achte viel mehr darauf mir die Hände oft zu waschen und mir auch nicht ständig ins Gesicht zu fassen oder die Augen zu reiben. Hier in Taiwan trägt auch nicht jeder eine Maske. Soweit wie ich es gesehen habe, tragen etwa nur die Hälfte der Personen in der Öffentlichkeit Masken. Abgesehen von Orten wo Maskenpflicht herrscht, z.B. Schulen oder Unis, oder in Krankenhäusern. Dort trägt so ziemlich jeder eine Maske.

Handdesinfektionsmittel im Eingangsbereich eines Wohnkomplexes.

Trotz der zahlreichen Vorkehrungen am Anfang, gab es weitere Infektionen. Einige dieser Fälle führten zu neuen Maßnahmen. Am 15. Februar 2020 verstarb ein 61-jähriger Taxifahrer der sich mit COVID-19 bei einem Fahrgast angesteckt hatte. Das war auch der erste Fall in Taiwan, bei dem jemand innerhalb des Landes angesteckt wurde, also das Virus nicht aus einem Risikogebiet eingeführt wurde. Dieser Fall führte dazu, dass die Teststrategie geändert wurde. Zuvor wurden nur Patienten mit Symptomen getestet die in den letzten 2 Wochen außerhalb Taiwans waren. Ab jetzt werden alle Personen mit grippeähnlichen Symptomen getestet. Unabhängig davon ob sie vorher außerhalb Taiwans waren oder nicht.

Der Begin des neuen Schuljahres und des Unisemesters wurde um 2 Wochen nach hinten verlegt. Damit sollte sichergestellt werden, dass Personen die aus den Neujahrsferien zurückkommen eine Art Quarantäne durchlaufen und mögliche Symptome einer Infektion mit SARS-CoV-2 erkannt werden. Vor dem neuen Schulstart wurden alle Schulen gereinigt und desinfiziert. Schüler müssen Masken tragen, beim Betreten der Schule wird die Körpertemperatur gemessen, Hände werden desinfiziert und auf regelmäßiges Händewaschen wird streng geachtet.

Aushang in einem Fahrstuhl wie man 95% Alkohol als Desinfektionsmittel für den Hausgebrauch nutzen kann.

Da meine Kinder in einen privaten Kindergarten gehen, konnten sie direkt nach den Ferien wieder dorthin, denn private Kindergärten brauchten den Anfang des Semesters nicht um 2 Wochen nach hinten zu verschieben. Natürlich wird dort zu den ohnehin schon strengen Hygienemaßnahmen jetzt noch zusätzlich jeden Morgen bei Ankunft die Körpertemperatur der Kinder gemessen, die Hände desinfiziert und die Kinder müssen jetzt auch eine Maske tragen. Außenaktiväten wurden eingestellt und größere Veranstaltungen erstmal abgesagt. Mein Eindruck ist, dass im Kindergarten von Anfang an sehr gut darauf reagiert wurde und man sich große Mühe gibt, das Ansteckungsrisiko gering zu halten.

In den Klassen und auch Mensen der Unis wurden Trennwände zwischen den Tischen aufgestellt um Infektionen zu minimieren. An der National Taiwan University werden jetzt auch vermehrt Onlinevorlesungen abgehalten, so dass Studenten die in Quarantäne sind oder die sich keinem Infektionsrisiko aussetzen wollen, von zu Hause den Vorlesungen folgen können. Vor kurzem wurden auch Temperaturkontrollen beim Betreten meines Institutsgebäudes eingeführt. Generell wird jetzt an vielen Orten (z.B. große Supermärkte, im Zoo) die Körpertemperatur von Kunden oder Besuchern gemessen. Das Fieberthermometer ist bei uns zu Hause jetzt das wichtigste Werkzeug geworden. Früher haben wir nur bei Verdacht die Körpertemperatur gemessen, aber inzwischen machen wir es zweimal am Tag.

Ein Fieberthermometer ist inzwischen wichtigstes Werkzeug geworden.

Öffentliche Verkehrsmittel werden jetzt häufiger desinfiziert. Ich habe selbst gesehen wie an der Endhaltestelle der gelben Linie in Taipei ein Team von Reinigungskräften schnell durch den Zug läuft und dabei alle Flächen die häufig angefasst werden desinfiziert. Die U-Bahn in Taipei testet ein neues System bei dem die Körpertemperatur der Fahrgäste gemessen wird und Personen mit Fieber die Station nicht mehr betreten dürfen. Wenn das System zuverlässig läuft, soll es auf allen stark frequentierten Stationen eingesetzt werden. Da ich relativ nahe am Arbeitsplatz wohne, bin ich nicht so stark auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Ich kann auch mit dem Fahrrad fahren oder auch zur Arbeit laufen. Momentan nutze ich den ÖPNV eher wenig und bevorzuge das Auto. Wenn ich mit der U-Bahn fahre, dann achte ich darauf so wenig wie möglich anzufassen und vor dem Verlassen der Station mir die Hände zu waschen, was in der MRT kein Problem ist, da es in jeder Station kostenlose und saubere Toiletten gibt. Ich versuche auch in der U-Bahn volle Wagen zu meiden und halte auch etwas mehr Abstand zu Personen.

Reinigungskräfte die einen U-Bahnwagen an der Endhaltestelle desinfizieren.

Es stehen auch überall Handdesinfektionsmittel zur Verfügung. Also in allen öffentlichen Gebäuden, aber auch Geschäften und Wohnanlagen. In dem Apartmentkomplex in dem ich wohne, steht an jedem Eingang eine Flasche mit Handdesinfektionsmittel bereit. Auch wird in dem Apartmentkomplex schon seit einigen Wochen zur zusätzlichen Reinigung der öffentlichen Bereiche auch noch die Türgriffe und Knöpfe im Fahrstuhl regelmäßig desinfiziert. Um das Risiko einer Ansteckung weiter zu minimieren, wurden jetzt auch noch die öffentlichen Bereiche teilweise geschlossen, z.B. kann man das Spielzimmer oder den Sportraum nicht mehr nutzen. Finde ich etwas übertrieben, da jeder selber entscheiden kann ob er das nutzen will und sich damit einem möglichen Ansteckungsrisiko aussetzt. Andererseits denke ich mir, dass man das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich halten will und auch nicht riskieren will, dass der gesamte Komplex unter Quarantäne gestellt wird.

Die Knöpfe im Fahrstuhl werden täglich 2-mal desinfiziert. Die Folie schützt nur die Metalloberfläche vor dem Desinfektionsmittel.

Da Taiwan über einen großen Pool an open data verfügt und die Behörden offen und transparent mit Informationen zur COVID-19 Epidemie umgehen, sind in den letzten Wochen zahlreiche Apps entwickelt worden mit denen man sich z.B. informieren kann wo es Masken zu kaufen gibt, wie der aktuelle Stand der Infektionen ist, oder ob sich in den letzten Tagen die Wege mit Infizierten gekreuzt haben könnten.

mein Fazit

In Taiwan wird ein sehr grosser Aufwand betrieben um die COVID-19 Epidemie im Zaum zu halten. Ich bin sehr beeindruckt wie schnell, konsequent und weitsichtig die Behörden gehandelt haben und auch immer noch handeln. Anfangs hielt ich einige der Maßnahmen für übertrieben, aber inzwischen zeigt es sich, dass sie sinnvoll waren. Es ist auch bemerkenswert, dass die Bevölkerung mitmacht, was ja sehr wichtig ist, denn wenn sich keiner an die Vorgaben hält, dann bringen auch die besten Konzepte nichts. Zum Beispiel stellen sich alle brav und ordentlich in die Schlange vor einer Apotheke und warten bis sie ihre Masken kaufen können. Es läuft hier alles ziemlich ordentlich und ruhig ab. Vermutlich weil eben alle sehen, dass die Maßnahmen wirken.

Mittlerweile wird man auch im Ausland auf den Erfolg in Taiwan aufmerksam, z.B. in Süd-Korea oder auch Deutschland, da gab es vor kurzem diesen Artikel im Tagesspiegel. Auch in internationalen Forscherkreisen (z.B. im Journal of the American Medical Association) werden Taiwans Anstrengungen hoch gelobt.

Persönlich denke ich, dass Taiwan die COVID-19 Epidemie gut meistern wird auch wenn es weiter einzelne Infektionen gibt. Natürlich lässt sich eine Masseninfektion nicht ganz ausschließen, aber wenn sich alle an die Regeln halten und verantwortungsvoll umgehen, dann ist das Risiko doch eher gering.

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2 Comments

  1. Großes Lob für die Taiwanesen! Aktuell 45 Fälle in Taiwan vs 670 in Deutschland (am 27. Februar waren es noch 30). Offensichtlich machen die Taiwanesen einiges besser als hier in Deutschland.

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