People with facemask on the street

Ein Rückblick auf drei Jahre Corona-Pandemie in Taiwan

Am 11. März 2020 erklärte die WHO die Corona Epidemie zu einer globalen Pandemie. Jetzt nähert sich der dritte Jahrestag der Corona-Pandemie und ich wollte die Gelegenheit nutzen, die Geschehnisse in Taiwan Revue passieren zu lassen. Was wurde in Taiwan gut gemacht und was lief weniger gut?

Sehr gute Reaktion am Anfang

Die ersten Covid-19 Fälle tauchten in China bereits im Dezember 2019 auf. Während man im Rest der Welt es noch als etwas weit entferntes betrachtete und das Risiko herunterspielte, schrillten in Taiwan schon die Alarmglocken. Die Behörden haben die Ereignisse in Wuhan und anderen Teilen Chinas sehr aufmerksam verfolgt und sehr schnell die Grenzen zu China dicht gemacht. Vermutlich auch als Lehre aus der SARS-Pandemie 2002/2003 war man in Taiwan sehr darauf bedacht, die Ausbreitung von Covid-19 so schnell wie möglich zu stoppen.

Diagramm mit täglichen Infektionszahlen in Taiwan während der Corona-Pandemie
Das Diagramm zeigt die täglichen bestätigten Covid-19 Infektionen in Taiwan seit dem 1. Januar 2022. Davor waren die Infektionszahlen so gering, dass sie im Diagramm nicht auftauchen würden. Die Balken stellen die Streuung der Infektionszahlen für jede Woche dar. Man kann erkennen, dass während der ersten Omikron-Welle die Infektionszahlen innerhalb einer Woche rapide stiegen. Im weiteren Verlauf des Jahres kam es zu zwei weiteren schwächeren Infektionswellen.

Mit verschiedensten Maßnahmen wurde die Ausbreitung von Covid-19 sehr schnell eingedämmt und es folgte eine lange Phase der Null-Covid Politik. In den internationalen Medien wurde viel über Taiwans Erfolg im Kampf gegen Covid-19 berichtet. Das führte auch zu einem gewissen Stolz. Taiwan darf auf Druck Chinas kein Mitglied der WHO sein, aber jetzt konnte man es allen zeigen, dass man es auch ohne WHO schafft.

Über die Anfangsphase der Covid-19 Pandemie und Taiwans Strategien im Kampf gegen die Ausbreitung habe ich in diesem Artikel bereits geschrieben: “Wie ich die Coronavirus-Epidemie (Covid-19) in Taiwan erlebe” Das Konzept von Null-Covid lief sehr gut und ermöglichte es in Taiwan ein normales Leben zu führen. Aber es führte auch dazu, dass man sich in falscher Sicherheit wog, was sich im Frühsommer 2021 bitter rächte.

Beschaffung von Impfstoffen verschlafen

Die erfolgreiche Null-Covid Politik führte dazu, dass man faul wurde. Während im Rest der Welt Impfstoffe entwickelt wurden und die ersten Impfkampagnen starteten, wurde in Taiwan diesbezüglich kaum etwas gemacht. Man versuchte hier eigene Impfstoffe zu entwickeln und kaufte über das COVAX Programm Impfdosen ein. Aber das wahr eher halbherzig und es entstand der Eindruck, dass die Regierung wenig Mühe machte größere Kontingente an Impfstoffen zu besorgen. Auch in der Bevölkerung war das Interesse an Impfungen gering. Es herrschte die überwiegende Meinung, dass durch Null-Covid, Impfungen nicht dringend nötig sind und man erstmal abwartet.

Als es dann im Frühsommer 2021 zu einem Covid-19 Ausbruch in Taiwan kam, herrschte erstmal große Panik. Wie es zu diesem Ausbruch kam, habe ich hier ausführlicher geschrieben: “Neue Covid-19 Welle in Taiwan (2021)”

Taegliche Pressekonferenz des CDC Taiwan zur aktuellen Lage der Corona-Pandemie
Für fast drei Jahre ein gewohntes Bild: jeden Tag um 14 Uhr gab das Central Epidemic Command Center (CDC) eine Pressekonferenz auf der das aktuelle Infektionsgeschehen in Taiwan beschrieben wurde. Auch Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wurden auf der Pressekonferenz vorgestellt. (Foto vom CDC Taiwan)

Taiwan besaß zu dem Zeitpunkt kaum Impfstoffe und man musste jetzt versuchen so schnell wie möglich Impfstoffe auf dem Weltmarkt zu kaufen. Was nur schwer möglich war, da ja alle Länder in dieser Zeit um Impfstoffe buhlten.

Obendrein kam noch hinzu, dass die Regierung unbedingt BioNTech Impfstoffe haben wollte. Die Impfdosen wurden direkt beim Hersteller bestellt, aber kurz vor der Unterzeichnung des Vertrags zog sich BioNTech zurück. Der offizielle Grund war, das die Impfdosen nicht direkt beim Hersteller gekauft werden konnten, da der Vertrieb für den Großraum China durch eine chinesische Firma (Fosun Pharma) abgewickelt wurde. Ein ganzes normales Verfahren, dass es für eine Region einen Generalimporteur gibt und man die Waren dort bestellt. Es ging dann das Gerücht herum, dass der Verkauf durch Druck Chinas abgebrochen wurde. Inwieweit das stimmt, ist unklar.

Am Ende schalteten sich Terry Gou (Gründer von Foxconn) und eine Buddhistische Gruppe ein und kauften die Impfstoffe um sie dann der Regierung zu spenden. Nach einigem hin und her tauchten dann doch Impfstoffe in größeren Mengen in Taiwan auf. Meistens waren es Spenden aus den USA und Japan.

Wenige Monate später war dann die Versorgung mit Impfstoffen kein Problem mehr. Mittlerweile gibt es alle Impfstoffe in ausreichender Menge. Und niemand redet mehr darüber, wo oder wie die Impfstoffe gekauft wurden.

Tägliche Corona-Neuinfektionen in Taiwan im Mai 2021
Tägliche Infektionszahlen während des ersten Corona-Ausbruchs in Taiwan im Mai/Juni 2021. Durch Null-Covid verwöhnt, klangen 500 und mehr Neuinfektionen schockierend. Heute würde man solche Zahlen nicht mehr beachten. Man hat zu der Zeit auch einen Trick verwendet, um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen. Infektionszahlen wurden auf frühere Tage angerechnet, da zwischen Covid-Test und Analyse einige Tage vergingen. So entstand der Eindruck, dass die Infektionszahlen in den letzten Tagen immer höher lagen als am aktuellen Tag und es aussah, als würden sie sinken.

Impfkampagne war sehr gut organisiert

Auch wenn die Beschaffung der ersten Impfstoffe unter keinem guten Stern stand, hat man eine exzellente Impfkampagne organisiert. Durch die Knappheit am Anfange wurden Impfstoffe nach Alter und Bevölkerungsgruppen verteilt. Impfungen waren zentral organisiert und es wurde alles genauestens erfasst. Wer, wann, wo, was geimpft bekommen hatte, das wurde auf der Krankenversicherungskarte gespeichert, so dass Ärzte sofort wussten was los ist. Die Impfbereitschaft war sehr hoch und die Quote für die Erstimpfung liegt bei 91.3%. Im Vergleich dazu sind in Deutschland nur 77.9% der Bevölkerung erstgeimpft.

Bevölkerung hat Maßnahmen unterstützt

Mein Eindruck war auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Coronamaßnahmen der Regierung vollends unterstützt hat. Coronaleugner, Impfgegner, Maskenverweigerer und Coronademos sind mir hier nicht zu Ohren gekommen. Ich weiß, dass einige den Impfungen skeptisch gegenüberstehen und sich bewusst dagegen entschieden haben. Aber es war nie so radikal wie in Deutschland. Liegt vermutlich auch daran, dass die Menschen in Taiwan das Tragen von Masken schon vor Corona gewöhnt waren und dass durch die SARS Pandemie den Menschen einfach klar war, was sie erwartet und daher bereitwillig allen Maßnahmen zugestimmt haben.

Auch wurden die Impfungen nicht so überstilisiert wie in Deutschland. Man lief hier nicht rum und erzählte stolz das man geimpft ist, und verdammte alle die nicht geimpft waren. Auch wurde in Taiwan nie ein Impfnachweis verlangt. Es gab zwar mal die Idee, dass nur geimpfte Personen in Restaurants essen dürfen, aber das wurde nie umgesetzt. Das war alles viel entspannter hier.

Hinweis zur Maskenpflicht
Hinweise für die Coronaschutzmassnahmen an einem Supermarkt. Im Laden herrscht Maskenpflicht, Hände sollten desinfiziert sein, Mindestabstand zwischen Personen 1,5 m und bevorzugt mit Karte zahlen statt Bargeld.

Der Bevölkerung wurde viel Angst gemacht

Ob Absichtlich oder eher durch die sensationslüsternen taiwanesischen Medien befeuert ist unklar, aber Corona wurde hier sehr dramatisch dargestellt. Man hat den Menschen hier sehr viel Angst gemacht. Am Anfang war es vielleicht sogar erwünscht, so dass sich alle brav an die Maßnahmen halten. Aber im Verlauf der Pandemie führte es zu problematischen Verhalten. Aus Angst vor Ansteckung gingen viele nicht mehr zum Arzt. Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass jemand seine Krebsbehandlung verzögerte aus Angst sich im Krankenhaus mit Covid anzustecken. Soziale Kontakte wurden freiwillig aus Angst vor Ansteckung reduziert.

verschiedene Masken
Da in Taiwan fast seit 2021 Maskenpflicht herrscht, hat sich hier ein breites Spektrum an verschiedensten medizinischen Masken entwickelt. Neben den klassischen hellblauen Masken, gibt es sie hier in allen möglichen Farben oder Mustern. Von links nach rechts: Maske bedruckt mit Firmenlogo als Werbegeschenk, Maske die für Umweltschutz wirbt, Maske zum Mondfest, Maske zum Chinesischen Neujahrsfest.

Für viele Taiwanesen war es auch völlig unvorstellbar, dass im Ausland die Coronamaßnahmen weitestgehend abgeschafft wurden. Als ich im Sommer 2022 wieder in Deutschland war, wurde ich bei meiner Rückkehr in Taiwan immer interessiert befragt wie es dort mit Corona sei. Und wenn ich erzählte, dass es fast keine Maßnahmen gibt und alle ohne Maske rumliefen, konnte ich immer in schockierte oder erstaunte Gesichter blicken. Wie man das denn überlebt hätte? Aber für die meisten Taiwaner ist das Ausland immer noch coronaverseuchtes Gebiet mit astronomischen Infektionszahlen.

Ich habe auch den Eindruck, dass den Menschen in Taiwan nicht bewusst ist, dass die Inzidenzahlen in Taiwan seit Sommer 2022 auf weltweitem Rekordniveau waren. Taiwan hatte höhere Inzidenzzahlen als Deutschland sie jemals hatte.

Im Dezember 2022 wurde die Maskenpflicht gelockert, so dass man jetzt draußen keine Maske mehr tragen braucht. Aber immer noch tragen etwas 99% der Menschen eine Maske draußen, aus Angst man könnte sich ja noch anstecken.

Zu langes Festhalten an Null-Covid

Taiwans erfolgreiche Null-Covid Politik hat im Ausland viel Lob erhalten. Leider hat die Regierung aber zu lange an diesem Konzept festgehalten. Als die ersten Omikron Fälle in Südafrika auftauchten und die Omikron Variante sich schnell weltweit ausbreitete, war man in Taiwan noch sehr skeptisch. Auch schon als viele Daten vorlagen und es deutlich wurde, dass Omikron deutlich milder verläuft als frühere Varianten, wich man hier von Null-Covid nicht ab.

Kontaktnachverfolgung in Taiwan während der Corona-Pandemie
Nachverfolgung von Kontakten war lange Zeit ein Mittel der Null-Covid Kampagne. An vielen Orten musste man seine Kontaktdaten hinterlassen, so dass im Falle einer Infektion, Personen die zur selben Zeit am selben Ort waren, gewarnt werden konnten. Später gab es Apps die über Bluetooth Kontakte registriert haben. Diese Apps waren aber sehr unzuverlässig und oft bekam man erst nach ein oder zwei Wochen eine Warnung, dass man mit einer infizierten Person in Kontakt war.

Ein Grund war wohl, dass im November 2022 Lokalwahlen in Taiwan anstanden. Da diese Wahlen sehr wichtig für die Parteien sind, traute sich kein Politiker die bestehenden Maßnahmen zu lockern oder gar abzuschaffen. Erst als die Infektionen mit Omikron zunahmen und es klar wurde, dass man sie nicht mehr eindämmen kann, fing man an die Maßnahmen langsam zu lockern.

Auch als Taiwan im Sommer von der ersten großen Omikronwelle erfasst wurde, hielt man noch an der Einreisequarantäne fest. Was ziemlich idiotisch war, denn die täglichen lokalen Infektionen lagen im Bereich von mehreren 10.000 Fällen, aber durch Eingereiste, kamen gerade mal 100 Infizierte pro Tag ins Land. Offensichtlich hätte man da die Einreisequarantäne komplett abschaffen können. Aber sie wurde erst im Oktober 2022 komplett abgeschafft.

Nervig war auch die Isolationspflicht für Infizierte und die zu strengen Regeln für Angehörige und Kontaktpersonen. Gerade mit Kindern war man dadurch enorm benachteiligt. Mit Corona infizierte Kinder durften damals zwei Wochen nicht in die Schule oder den Kindergarten.

Die Maskenpflicht im öffentlichen Raum wurde auch erst zum Dezember 2022 abgeschafft. Nachdem fast die Hälfte aller Taiwanesen bereits mit Corona infiziert war. Maskenpflicht besteht immer noch in einigen Bereichen und erst jetzt wird eine Änderung in Erwägung gezogen.

Fazit

Auch wenn nicht alles rund lief in Taiwan, so lief es hier doch runder als in anderen Teilen der Welt. Gerade am Anfang der Pandemie als noch die Alpha und Delta Varianten und fehlende Impfstoffe viele Probleme und Leid brachten, war die Reaktion der Regierund in Taiwan goldrichtig. Aber im weiteren Verlauf der Pandemie hätte ich mir mehr Dynamik und schnellere Reaktionen gewünscht.

Weniger Politik wäre besser gewesen und nicht dieses starre Festhalten an Null-Covid. Auch wenn man es am Anfang als großen Erfolg verkaufen konnte, wurde es relativ schnell zur Lachnummer und ein Symbol für Inflexibilität. Insbesondere zum Ende hin, als es deutlich wurde, dass mit Omikron in den meisten Fällen ein Milder verlauf einhergeht, hätte man hier viel früher das Land öffnen sollen und die Corona Maßnahmen deutlich reduzieren können. Mit der hohen Impfquote in Taiwan wäre es auch kein Problem gewesen.

Schauen wir mal, was 2023 noch bringen wird. Das gute an Taiwan ist, dass man aus SARS und Covid-19 viel lernen konnte und für die nächste Pandemie bestens gewappnet ist.

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